Einführungen / Texte zum Werk



Aus der Eröffnungsrede / dem Pressetext zur Doppelausstellung „REFERENZRAHMEN - Errkaa und Paul Wesenberg“ im Künstlerhaus Sootbörn, Hamburg, 11. 1. 2019 von Christoph Tannert, Leiter Künstlerhaus Bethanien, Berlin

„Die Werke von ERRKAA, bekannter Kunstaktivist der Hamburger BUNKERHILLGalerie im Feldstraßenbunker, Experimentalfilmer und Querdenker entstehen aus einer naturzugewandten und jeglicher Art von Umweltzerstörung kritisch gegenüberstehenden Perspektive. Seine „Existenzialistischen Haengungen“ sind nicht einfach nur Aufmerksamkeitszeichen für Gebäudefassaden, sondern wollen Seh- und Denkschablonen in Bezug auf urbane Zusammenhänge verändern, neue Bild- und Bedeutungsebenen schaffen, um existentielle Zusammenhänge zu hinterfragen.

ERRKAAs fotografische Serien, entstanden in Brennpunkten von Strukturwandel und Stadtumbau machen Umbrüche sichtbar, messbar, erfassbar, greifbar. Die Dokumentationen „Garzweiler“ und „Kattowitz“ sind aber zuallererst ein durchdringender, stimmig rhythmisierter Mix von Gegenwartsanalysen. Hierin liegt ihre besondere Qualität.

ERRKAA thematisiert Versäumnisse der Politik, blickt in das Herz der Betroffenen und Protestierenden und schreibt seinen Bildern eine Trauer ein, die berührt.“




Aus dem Ausstellungskatalog „Positon. 2015“, Hamburg

„Nach dem Psychoanalytiker Luigi de Marchi stellt die Bewusstwerdung der Endlichkeit den Urschock und Ausgangspunkt allen menschlichen Kulturschaffens dar. Das Ephemere, die Absurdität des Lebens angesichts der drohenden und vollständigen Auslöschung treibt den Menschen in das Materielle. Er will sich seiner Selbstwirksamkeit vergewissern, will sich in dem Kontinuum der Wirklichkeit fortschreiben, will sich und der Welt glauben machen, es gäbe nicht nur ein Fortbestehen, sondern auch einen Sinn, eine Fabel.

Auch das Kunstschaffen kann nach diesem Kulturmodell als Todesabwehr gedeutet werden: Auf der einen Seite steht der Künstler, der nach einer Bestätigung seiner Selbstwirksamkeit sucht und mit seinem Werk eine Spur hinterlassen will, anhand derer er nachhaltig erkannt und erinnert werden möchte, auf der anderen Seite steht der Sammler, der seiner Weltsicht und seinem Geschmack in Form der Sammlung eine rückversichernde Ordnung geben und ein bleibendes Denkmal setzen möchte.

Eine große Papierform pendelt leicht im Wind unter einer Eisenbahnbrücke, im Lichthof eines Parkhauses, unter dem Sprungturm eines leeren Freibads, unter der Decke eines abgebrannten Restaurants, vor der Wand eines Bunkers, nur für Minuten, dann wird die Hängung beendet oder sie entschwindet in der Dämmerung - der immaterielle künstlerische Akt ist vorbei.

Von Bedeutung ist nicht die große Collage menschlicher Körper, die in keinem narrativen Zusammenhang zueinander stehen, sondern lediglich der Form untergeordnet sind, von Bedeutung ist auch nicht die Form selbst, der keine symbolische, sondern lediglich eine nicht fassbare, intuitive Gestaltungsabsicht zugrunde liegt, von Bedeutung ist nur die Frist der Hängung selbst, die für einen kurzen Moment einen Ort, die Bewegungen der Luft, das Licht, eine Passantin mit Hund, die Geräusche der Straße signifikant gemacht hat.

Für die Gestaltung der Oberflächen hat Errkaa gezielt menschliche Körper gewählt, denn kaum etwas anderes fordert die Sinngebungsmaschine Mensch so sehr heraus, nach Bedeutung, Beziehung und Narration zu suchen. Doch ist es bereits im Werkprozess angelegt, jede Suche nach Bedeutung ins Leere laufen zu lassen, und jede gefundene Interpretation als reine Konstruktion des Betrachters zu entlarven. Es gibt keine Geschichte zu erzählen. Der Mensch füllt den Raum aus, den ihm die Form zuweist, er tritt für eine kurze Frist in einen erratischen Dialog mit der ihn umgebenden Wirklichkeit und versinkt schließlich wieder in Schweigen und Dunkelheit.“

© Dr. phil. Thomas J. Piesbergen / VG Wort, Dezember 2015